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Branche – Er sagt zum Abschied leise Servus

5. Juli 2021, 10:55

Es ist in der Tat ein eher leiser Abschied. Ohne Pauken, Trompeten, die große Bühne und lange Reden, die er im Übrigen nie gemocht hat. Das hätte man dem langjährigen Messechef anders gewünscht. Aber auch das hat sein Gutes. Den Champagner darf er nun alleine mit seiner Frau Andrea genießen und sich dabei locker zurücklehnen. Wir sagen: Prost! Alles Gute und auf Wiedersehen Ernst Kick!

Herr Kick, das Ende einer so langen Amtszeit ist immer mit widersprüchlichen Gefühlen verbunden. Einem lachenden und einem weinenden Auge. Wie fühlt sich der Abschied für Sie an?
Meinen Abschied hätte ich mir schon gerne anders gewünscht – allen meinen Wegbegleitern nochmals die Hände geschüttelt und persönlich Danke gesagt. Das alles geht leider nicht. Es bleibt mir also nur, auch auf diesem Weg nochmal ein großes Dankeschön in die Branche zu schicken. Was mich positiv stimmt, ist die Tatsache, dass wir die Nachfolge gut und vernünftig geregelt haben und auch die Übergabephase sehr konstruktiv und reibungslos über die Bühne ging. Es sind herausfordernde Zeiten, aber ich bin sicher, dass wir ab 2022 wieder optimistisch nach vorn blicken können.

Sie hatten mit der Spielwarenmesse 2020 Ihre letzte Veranstaltung, das war nicht vorherzusehen. Wie blicken Sie auf die Zeit vor Beginn der Pandemie zurück?
Ich bin froh, dass wir diese Spielwarenmesse noch so gut über die Bühne bringen konnten. Wir hatten Glück und waren eine der letzten Messen, die vor der Pandemie als Präsenzveranstaltung stattgefunden haben. Deshalb verzeichnen wir 2020 ein erfolgreiches Geschäftsjahr – in diesem Jahr wird es allerdings bescheidener ausfallen.

Sie sind 2002 an den Start gegangen, 2003 war Ihre erste Messe. Erinnern Sie sich noch daran, wie die Spielwarenmesse damals auf Sie wirkte?
Daran erinnere ich mich sehr gut. Ich kam aus München, war eine sehr professionelle Struktur gewöhnt und traf auf – ich sage es mal salopp – auf eine etwas zurückhaltende Messeorganisation. Es wurde unglaublich viel Verwaltungsaufwand betrieben, die Kreativität fehlte, echte Dienstleistung gab es fast keine. Ich konnte diesen Eindruck am Anfang gar nicht mit dieser kreativen und vielfältigen Branche, auf die ich traf, in Einklang bringen.

Erinnern Sie sich noch daran, was Sie als Erstes gemacht haben?
Ich habe nach 100 Tagen einen Strategieplan entwickelt. Das war eine Art To-do-Liste, die ich entworfen habe – ein roter Faden, an dem ich mich entlang gearbeitet habe. Diesen Plan habe ich dem Aufsichtsrat vorgestellt und ihn anschließend Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt.

Was waren die vorrangigen Aufgaben in Ihrem Strategieplan?
Ich habe mir die internen Strukturen angesehen und geschaut, wo ich ansetzen kann. Mit welcher Manpower ich zum Beispiel dringend notwendige Marketingaktivitäten auf den Weg bringen kann. Damals waren gerade mal 16 Mitarbeiter für die Spielwarenmesse tätig. Ich wollte die Internationalisierung vorantreiben und brauchte dafür auch eine Vertriebsstruktur, die es so noch nicht gab. Der Schritt auf das internationale Parkett war ein ganz wesentlicher Punkt für die Spielwarenmesse – und damit auch für die Branche.

 

Wie viele Mitarbeiter hat die Messe heute?
Wir sind allein in Nürnberg heute über 60. Das Team, das ich immer um mich hatte, war einfach toll und versteht es, Ideen gut umzusetzen.

In den Jahren als Messechef haben Sie sicherlich viel dazugelernt, aber auch viel einstecken müssen. Was war Ihre bitterste Erfahrung?
Ganz sicher gehört dazu die Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern. Es sollte ein Konstrukt auf Basis einer klassischen Win-Win-Situation für alle Beteiligten sein. Eine eher einseitige Interpretation, um es mal vornehm auszudrücken. Wir sind dann ausgestiegen, bevor noch mehr Manpower und Geld verbrannt wurde. Das wurmt mich heute noch, wenn ich ehrlich bin. Es wäre der Eintritt in einen wichtigen Zukunftsmarkt für die Branche gewesen, aber wir hatten den falschen Partner.

Wie viele Ihrer einst gesetzten Ziele haben Sie denn erreicht?
90 Prozent meiner Zielvorgaben habe ich erreicht. Und das habe ich einem wirklich einmaligen Team zu verdanken. Wir haben alle an einem Strang gezogen, quer durch alle Abteilungen.

Unter Ihrer Führung hat sich die Spielwarenmesse stabilisiert und auf sehr gesunde Beine gestellt. Was ist in Ihren Augen das Wichtigste, wenn man ein solches Schiff steuern muss?
Man muss Interessen zusammenführen, muss integrieren können. Als ich antrat, war die Wunde, die Genossenschaft in eine AG umzuwandeln, noch nicht ganz geschlossen. Das war für alle Beteiligten – mich eingeschlossen – ein Lernprozess. Ich kam ja aus einer AG, musste mir also die Genossenschaftsstruktur erst genauer anschauen. Nach und nach stellte ich fest, welches Potenzial eine Genossenschaft gerade für die wenig homogene Spielwarenbranche birgt. Große und kleinere Unternehmen ins Boot zu holen, ihnen Gehör zu verschaffen – das kann die Genossenschaft. Und so habe ich es dann auch umgesetzt. Wir haben damit eine sehr stabile Unternehmensstruktur geschaffen. Das war im Übrigen auch wesentliches Ziel des 100-Tage-Plans.

Wie sind Sie mit Misstrauen und mit Anfeindungen umgegangen?
Sachlich und rational. Es ist doch klar, dass man als Neuer erst einmal kritisch beäugt wird. Es gab bei der Spielwarenmesse eine emotionale Schräglage, die erst einmal wieder gerade gerückt werden musste. Ich denke, das ist mir gelungen.

Sind Sie denn auch mal emotional?
Ich kann auch mal ausrasten, aber bei mir steht eher die rationale Komponente im Vordergrund. Für mich ist wichtig, dass Dinge diskutiert werden, um sie voranzubringen.

Sie haben mit dem Aufsichtsrat und der Genossenschaft Gremien, die Sie in Ihre Messepolitik mit einbeziehen mussten. Wie frei waren Sie in Ihren Entscheidungen und Planungen für die Spielwarenmesse?
Es war immer ein sehr konstruktives Miteinander mit allen Gremien. Wir haben bei all unseren Entscheidungen die Interessen unserer Kunden in den Fokus gestellt. In den letzten Jahren hat sich mit dem Generationswechsel in den Unternehmen auch der
Aufsichtsrat verjüngt. Wir brauchen neue Perspektiven, denn wir müssen unsere Angebote der Zeit anpassen. Alles ist im Fluss, die Zeit bleibt nicht stehen – nicht einmal jetzt während der Pandemie …

Sie sprechen ein heikles Thema an. Die Welt scheint seit Monaten eingefroren. Keine Messen, keine großen Veranstaltungen …
Für die Politiker hierzulande scheint das Messewesen ein Fremdwort zu sein. Wir haben exzellente Hygienekonzepte entwickelt, aber es hat nichts genützt. Man könnte sagen, wir haben ein „Berufsverbot“ auferlegt bekommen. Nun scheint es, als sei diese Talsohle bald überwunden. Hoffen wir, dass es so bleibt und dass alle daraus gelernt haben.

Die Geschäfte waren lange geschlossen. Meinen Sie, dass die relevanten Käufer weiterhin Spielwaren in anderen Kanälen erwerben werden?
Nein, ich glaube das nicht. Um ein gutes Spielzeug zu erwerben, braucht es Beratung, Emotion, ein schönes Umfeld, Dienstleistung und nicht nur ein vollgestopftes Regal oder eine Schütte, in der alles durcheinanderfliegt. Es braucht den persönlichen Kontakt zum Händler, das Vertrauen, dass er richtig berät. Ich denke, dass sich viele nach den bewährten und gelernten Strukturen zurücksehnen werden.

Was sagen Sie zum Begriff Regnose?
Wir alle mussten in neue digitale Dimensionen eintauchen. Wir befinden uns noch mittendrin und zwar in allen Bereichen – in Unternehmen, Behörden, Schulen, im Ge-sundheitswesen, im Handel, im Privaten. Die Generation 4.0 ist mittlerweile überall vorhanden.

Der scheidende Messechef Ernst Kick hat einen mehr als guten Job gemacht. Er wird Spuren hinterlassen und seine Wegbegleiter werden sich immer gern an ihn erinnern

Wie sind Sie persönlich damit umgegangen?
Ich hatte gar keine Zeit, mich ewig an einem Thema festzubeißen. Da wären uns die Aussteller und Besucher weggelaufen. Wir mussten unsere Dienstleistung und Services möglichst schnell installieren und auch immer wieder anpassen. Die Nähe zu unseren Kunden und der Dialog mit ihnen hat uns immer das Tempo vorgegeben. Zum Glück – und das muss ich an dieser Stelle nochmals ausdrücklich erwähnen – ist das Team immer mitgegangen. Ich hatte immer die personelle Grundlage für diese Vorgehensweise. Dafür bin ich sehr dankbar.

Haben Sie sich persönlich im Laufe Ihrer Amtszeit verändert?
Ich bin älter geworden. Aber beim Älterwerden habe ich auch etwas gelernt. Ich habe sehr viel aus dieser lebendigen und facettenreichen Branche mitgenommen. Ich kam ja aus einer trockenen Ingenieurswelt. Und dann kam ich in diese absolut facettenreiche Branche. Ich habe Unternehmer kennengelernt, die ihr Herzblut vergossen haben, um fantastische Spielwaren für Kinder zu designen. Auch für meinen Verantwortungsbereich habe ich unglaublich viel Inspiration bekommen.

So viel, dass Sie 2015 gleich auch eine neue Messe etabliert haben?
Wenn Sie so wollen, ja. Wir sind dem Wunsch von Industrieseite nachgekommen, ein neues Messeformat für das PBS-Segment zu entwickeln. Daraus ist das Konzept der Insights-X entstanden, das sich zu einer europäischen Markenmesse hin entwickelt hat.

Warum ist der Ansatz seinerzeit gescheitert, die ToyPreview in die Insights-X zu integrieren?
Das alte Format hat nicht mehr funktioniert und ein neues Format war noch nicht gelernt. Wir haben zwei Segmente, die sich ohnehin perfekt ergänzen. Wenn die Kundenwünsche nach einem neuen tragfähigen Konzept aufkommen, wäre es ein neuer Ansatzpunkt. Aber das ist eine Entscheidung des kommenden Vorstands.
Sie gelten als Erfolgsmann, als Macher wie man so schön sagt. Welche Eigenschaften braucht man, um erfolgreich zu sein?
Das kann ich in einem Satz sagen: Ein gutes Team, das die Ideen entsprechend umsetzt. Dazu gehört natürlich auch die Fähigkeit, die Mitarbeiter entsprechend zu motivieren und in ihren Aufgaben zu bestätigen.

Gab es einmal einen Moment, wo Sie Lust gehabt hätten, hinzuschmeißen?
Den gab es nie. Ich war immer im Einklang mit meiner Arbeit, mit meiner Aufgabe. Klar, das letzte Jahr möchte ich am liebsten vergessen. Das war ein mentaler Tiefschlag für uns alle.

Wird man Sie noch auf der Messe oder in der Branche antreffen?
Es macht keinen Sinn, an Dingen zu hängen, die vorbei sind. Aber ich werde der Branche und der Spielwarenmesse eG immer treu verbunden bleiben. Jetzt möchte ich mit meiner Frau Zeit verbringen, reisen und Neues erleben. So können wir die Welt anders kennenlernen als es bei Geschäftsreisen möglich war. Meine Frau ist schon am Planen und wir freuen uns schon darauf, wenn es losgeht.

Bevor Sie gehen, haben Sie eine Vision, wie die Spielwarenmesse in 2030 aussehen könnte?
Eine Messe ist ein lebendiger Kosmos, natürlich wird sie anders sein. Das wird schon 2022 spürbar. Wir haben die richtigen Nachfolger ausgesucht, die ihre Aufgabenfelder sowohl serviceorientiert als auch inhaltlich auf die künftig herrschenden Gegebenheiten ausrichten. Da bin ich absolut sicher.

Was wünschen Sie Ihren Nachfolgern?
Dass sie immer dynamisch und flexibel sein können und nicht an alten Strängen festhalten. Dass sie neue Ideen haben und die Kraft und den Rückhalt, sie auf den Weg zu bringen. Wenn das gelingt, dann wird die Spielwarenmesse ihre Position behalten und noch sehr lange die Weltleitmesse für Spielwaren sein.

Herr Kick, ich danke Ihnen für 19 Jahre tollen Dialog, Ehrlichkeit, gegenseitigen Respekt sowie spannende Interviews und Geschichten. Es war mir eine Ehre. Alles Gute für Sie und Ihre Frau!