Anzeige

Boys – Das Wunder von Pathumthani

14. Juni 2019, 13:42

Die Erfolgsgeschichte von Majorette hat viele Geheimnisse. In der thailändischen Majorette-Fabrik in Pathumthani kam TOYS ihnen auf die Spur.

Foto: Markus Bolsinger

Wer wissen will, wo die kleinen Taschengeldflitzer herkommen, der muss weit reisen, nach Pathumthani, rund 60 Kilometer nördlich von Bangkok, wo Majorette seit Mitte der Achtziger seine 1:64er aus Zinkdruckguss produziert. Heute laufen dort pro Jahr 15 Millionen Modellautoträume vom Band, aber dahin war es ein weiter Weg.
Emile Véron gründete 1961 seine Firma Rail-Route, die ab 1964 erste Modelle im Matchbox-Maßstab 1:64 produzierte. Ab 1967 war der Markenname Majorette eingetragen. Véron hatte eine Vision, die das Label bis heute lebt: Viel Modellauto fürs Geld, also Taschengeldflitzer zu produzieren. Nach einer Insolvenz 1992 zog sich Véron zurück und wechselnde Besitzer wie Idéal Loisirs, Novacar de Minia Porto, die Triumph Adler AG und die französische Investorengruppe MI29 fanden keine Strategie für den traditionsreichen Namen. Noch schlimmer: Sie zogen über Jahre hinweg kontinuierlich Geld aus der Firma und vernachlässigten die Investitionen. Majorette drohte auszubluten.

2010 übernahm die Simba Dickie Group aus Fürth Majorette. Ziel von Michael Sieber dabei: einen weiteren interessanten Produktionsstandort in Asien zu entwickeln, abseits von China. Den ursprünglich geplanten Neuanfang fegte dann erst einmal die große Herbstflut 2011 in Thailand weg. Das Wasser und der Matsch stand zwei Meter hoch in der Fabrik, die bisher 500 Menschen Lohn und Brot gab. Simba Dickie zahlte die Gehälter weiter, die Mitarbeiter räumten die insgesamt 13.900 Quadratmeter großen Fabrikhallen auf und Michael Sieber entschied sich weiterzumachen – und mit dem großen Namen Majorette einen Gang höher zu schalten.
Wer heute bei 40 Grad im Schatten durch die Fabrikhallen läuft, der entdeckt modernste Spritzgussmaschinen des deutschen Herstellers Frech in der 20- und 80-Tonnen-Variante und eine Produktion die bis in die Lackierung hinein effizient durchgetaktet ist. Geschäftsführer Adisorn Laohavanich, der auch so etwas wie die Seele der Fabrik ist: „Simba Dickie hat uns damals viel Vertrauen entgegen gebracht. Deshalb hat das mit dem Neustart überhaupt geklappt. Die schwierige Situation hat uns zusammenwachsen lassen.“ Markus Hirsch, der bei den Fürthern so etwas wie der Cheftrainer der Marke ist: „Als wir Majorette 2010 übernommen haben, war die Qualität der Produkte ziemlich austauschbar. Wir haben in erster Linie über den Preis verkauft. Das wollten wir ändern. Aber dafür musst du investieren.“

Kompliziert ist die Bedruckung des legendären grünen Porsche 934 Vaillant. Insgesamt werden 23 Klischees dafür benötigt, um das 1:64-Modell zu komplettieren (Foto: Markus Bolsinger)

Links Adisorn Laohavanich, Geschäftsführer der Majorette-Fabrik in Thailand, Mitte Markus Hirsch, Devision Director Majorette, rechts Chokchai Janthiwatkul, Entwicklungschef in Pathumthani

Foto: Markus Bolsinger

Majorette wirkt heute ganz anders als chinesische Fabriken, die sehr stark hierarchisiert sind. Chokchai Janthiwatkul, der junge Entwicklungschef in Pathumthani erklärt: „Wir setzen hier in der Produktion auf permanente Verbesserungen und nutzen dabei auch die Hinweise unserer Mitarbeiter intensiv, um die Effektivität zu steigern.“ Neue Maschinen und diese Strategie haben dazu geführt, dass in derselben Fabrikanlage schätzungsweise 20 Prozent mehr Modellautos vom Band laufen als vorher. Auch das ist ein Erfolgsgeheimnis. Sogar im Heimatmarkt hat Majorette Modellauto-Geschichte geschrieben, verkauft zwischen Chiang Mai im Norden und Pattani im Süden 1,8 Millionen Flitzer pro Jahr. Die „Hotter-Wheels“ kommen hierzulande eindeutig von Majorette.
Seit der Übernahme durch die Simba Dickie Group zeigt die Qualitätskurve steil nach oben. Markus Hirsch: „Wir wollten lizensierte Modelle und dazu brauchst du präzises CAD-Design, um die Automobilindustrie zu überzeugen. Unser Ruf dort hat sich nachhaltig gesteigert.“ Nochmal der quirlige Entwicklungschef Chokchai: „Das war für uns zunächst eine Herausforderung im Formenbau. Aber jetzt ist es ein entscheidender Baustein unseres Erfolgs, der uns von Konkurrenten unterscheidet.“ Überraschung auch in der Lackiererei, wo gerade eine Dodge Viper ihre knallrote Lackierung bekommt. Zwei Lackschichten trägt Majorette hier auf jedes verkleinerte V10-Coupé auf. Zunächst einen pinkfarbenen Primer, dann den satten, aber trotzdem sehr dünnen Lack. 80 000 schafft die Anlage pro Tag. Geschäftsführer Adisorn: „Fast 90 Prozent unserer Miniaturen erhalten zwei Lackschichten. Wir wollen schließlich die schönsten 1:64er bauen, die es zu kaufen gibt.“
Aber bei der Lackierung alleine belässt es Majorette nicht mehr. Bei den „Deluxe-Cars“, die passenden Oldtimer treten in der Serie „Deluxe Vintage“ an, gibt es bewegliche Teile wie zu öffnende Türen oder Hauben und tamponbedruckte Details. Markus Hirsch: „Wir wollten in 1:64 ein Premium-Produkt lancieren, dass unsere neu erworbenen Fähigkeiten noch stärker unterstreicht.“ Trotzdem bleibt der Preis bei um die fünf Euro. Zwei dieser Deluxe-Autos aus der Vintage-Kategorie sind ein mattschwarzer Volkswagen T1 Bulli „Big Burger Chef“ und der legendäre grüne Porsche 934 „Vaillant“ im Renntrimm. Der ist bisher von der Bedruckung her das komplizierteste Majorette-Vehikel aller Zeiten. Produktions-Experte Chokchai: „Wir brauchen für die Bedruckung des grünen „Vaillant“-Porsche insgesamt 23 Klischees, um dieses 1:64-Modell zu komplettieren.“ Und das alles für einen Taschengeldflitzer.

Andreas A. Berse