Mütter von heute – eine Studie
Eltern, insbesondere Mütter sind für die Kinder- und Familienmarktforschung ein wichtiges Thema, weil sie Gatekeeper und Kauf-Mitentscheider und damit von großer Relevanz für Hersteller und Händler sind. Wie man Eltern und vor allem Mütter erreichen und für Unternehmen greifbar machen kann, hat Denise Ullrich in einer Studie im Frühjahr 2024 untersucht. Hintergrund und Ergebnisse stellte sie beim iconkids & youth Online-Kongress Anfang Juni vor.
Zentrale Frage der Studie war: „Welche Werte treiben Mütter heute an bei den Themen Erziehung und Konsum und was bedeutet dies für das Familienmarketing?“ Wichtig ist auch vorab zu klären, weshalb es sich lohnt, diese Zielgruppe immer wieder zu beleuchten – immerhin wurde diese seit 1999 bereits zum zehnten Mal zum Top Thema auf dem Kongress von iconkids & youth.
Man sollte annehmen können, Erziehung sei eine Wissenschaft mit solidem Fundament. Doch dieses Thema ist dem Zeitgeist unterworfen und je nachdem, aus welcher Ecke der „Zeitgeist-Wind“ weht, ändert sich der Zugang zur Erziehung und damit auch die Anforderungen an Mütter beziehungsweise Eltern. So standen vor einigen Jahren die sogenannten „Helikopter-Mütter“ im Fokus, ein anderes Mal die „Super-Väter“.
Vor dem Hintergrund eines sich stets wandelnden Zeitgeistes sind Untersuchungen notwendig, um daran zu erinnern, dass Familie nicht gleich Familie ist. Und sie sind notwendig, um die Filterblasen platzen zu lassen, in denen wir alle leben und die uns dazu verleiten, von uns und unseren Lebensumständen auf andere zu schließen. Beides ist gefährlich, können daraus doch Missverständnisse und Vorurteile entstehen. Das ist für Unternehmen durchaus problematisch, weil die Kommunikation unter Umständen nicht dort ankommt, wo sie ankommen soll, was letztlich auch in Fehlinvestitionen münden kann.
Es ist ebenfalls hilfreich und wichtig, sich zu vergegenwärtigen, wie vielfältig und bunt Familien sind. Neben der klassischen Vater-Mutter-Kind-Konstellation gibt es unter anderem allerziehende Eltern, gleichgeschlechtliche Elternpaare, Großfamilien mit mehr als drei Kindern, Familien mit und ohne Migrationshintergrund und so weiter. Darüber hinaus tun sich Unterschiede in den Lebensumständen auf, je nachdem, ob die Eltern arbeiten und in welchem Umfang, wie hoch das Einkommen ist, ob eine Familie in der Stadt oder auf dem Land lebt, ob sie bildungsnah oder bildungsfern ist et cetera.
Glaubt man dem Bild, das die Medien vermitteln – nicht zuletzt in der Werbewelt – „nehmen alle Väter jetzt Elternzeit und alle jungen Familien teilen Erwerbs- und Care-Arbeit hälftig auf“. Dem ist aber ganz und gar nicht so. So gaben 85 Prozent der Familien mit Kindern zwischen 3 und 13 Jahren laut Selbstauskunft an, dass die Mutter die Haushaltsführende, also „die Chefin“ sei, wenn es um die Organisation des Haushalts geht (Quelle: iconKIDS bus, repräsentative Untersuchung 3- bis 13-Jährigen und deren Müttern). Dieses Ergebnis wird auch untermauert durch den Familienreport 2024 des Bundesfamilienministeriums, wonach es nur 17 Prozent der Eltern gelingt, Erwerbs- und Sorgearbeit hälftig aufzuteilen. Das ist fern des angestrebten Ideals, und auch die Wahrnehmung derer, die bereits paritätischer aufteilen ist eine andere, aber: In den meisten Familien liegt das Gros der Haushalts- und Care-Aufgaben bei den Müttern. Folglich treffen die Mütter auch aus marketingrelevanter Sicht die meisten Entscheidungen, weshalb sich auch die Kommunikation vor allem an diese richtet.
Aus diesem Grund stehen bei der aktuellen Untersuchung von iconkids & youth die Mütter im Fokus. Doch auch hier gilt: Nicht alle Mütter sind gleich. Sie haben unterschiedliche Werte, Erziehungsstile, Vorstellungen, Erfahrungen und eigene Prägungen und je nach Situation entscheiden sie unterschiedlich: Sie stecken in einem Spannungsfeld aus
- Was ist das Beste für das Kind?
- Was kann ich leisten?
- Was will das Kind?
und folgen innerhalb dessen ihren ganz eigenen, individuellen „roten Linien“ – die man als Grenzen einerseits, aber auch als Leitlinien andererseits verstehen kann. Das zeigt sich beispielsweise beim Thema Vorlesen. Jede Mutter dürfte wissen, wie wichtig Vorlesen ist: Es stellt auf ganz unterschiedliche Weise die Weichen für die Gesamtentwicklung des Kindes. Vorlesen erweitert unter anderem den Wortschatz, fördert die sprachliche Entwicklung, verbessert die Vernetzung von verschiedenen Hirnarealen, öffnet den Zugang zu anderen Welten, weckt Interessen, entwickelt die Persönlichkeit sowie sozio-emotionale Kompetenzen. Was aber passiert, wenn der Alltag keine Zeit zum Vorlesen lässt oder die Mutter sich nicht traut – vielleicht weil sie selber nicht gut vorlesen kann oder keine passenden Bücher hat? Oder wenn das Kind keine Lust hat und zum Beispiel lieber spielen möchte?
Hier sind die Ergebnisse des Vorlesemonitors 2023 interessant, eine repräsentative Umfrage unter Eltern und Kindern zwischen 1 und 8 Jahren. Demnach wird in 36,5 Prozent der befragten Familien nur selten oder nie vorgelesen, während umgekehrt 63,5 Prozent angaben, häufig bis sehr häufig vorzulesen. Auch interessant: Der Vorlesemonitor 2023 stellte fest, dass es in 49 Prozent der befragten Haushalte maximal zehn Kinderbücher gibt. Weiterhin korreliert laut der Studie der formale Bildungsstand der Eltern damit, wie häufig Kindern vorgelesen wird – und das unabhängig davon, ob die Familie einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Viel wichtiger ist die eigene Prägung, das heißt Eltern, denen früher vorgelesen wurde, lesen heute selbst häufiger vor.
Auch beim Thema Ernährung bewegen sich Mütter in einem Spannungsfeld. Sie wissen meist, was gut wäre, immerhin bekommen sie es oft genug gesagt: Zucker beispielsweise ist böse und Bio gut. Aber der Alltag und auch das Einkommen setzen hier Grenzen. Und wenn das Kind „schnäkig“ ist, helfen auch die besten Absichten nichts.
Mütter agieren und reagieren auf die sie umgebenden Umstände. Mal sind diese Umstände dauerhaft, mal sind es nur kurz anhaltende Situationen. Aber sie können nicht „nicht reagieren“. Je nach Situation, verhalten sie sich hybrid und passen sich an. Interessant ist, dass die Freiheitsgrade, die sie sich dann im Alltag gewähren, begrenzt werden von den eigenen Werten, Einstellungen, Erziehungsstilen – den roten Linien. Und: Je weniger Druck Mütter spüren, desto mehr folgen sie diesen Linien, vor allem beim Einkauf. Aus diesem Grund ist es für Hersteller und Marken unerlässlich, die komplexen, aber fundamentalen Werte, Einstellungen, Erziehungsstile und Erfahrungen/Prägungen von Müttern zu kennen und zu verstehen. So werden sie greifbarer. Dies war der Ausgangspunkt für die repräsentative Segmentierungsstudie von iconkids & youth im Frühjahr 2024. Das Institut wollte herausarbeiten, wie Mütter ticken. Welchen Werten folgen sie? Wie schätzen sie ihre Erziehungskompetenz ein? Wie viel Freiheit gewähren sie Ihren Kindern? Die Antworten auf diese Fragen sind trotz situativer Anfälligkeiten wichtig, um zu verstehen, wie sich Mütter verhalten und was sie zum Beispiel wann und warum entscheiden bzw. kaufen. So kann man sie idealerweise in verschiedene Mutter-Typen einteilen und Marketingmaßnahmen auf sie zuschneiden.
Die Methode
Insgesamt wurden deutschlandweit 1.220 Mütter von 3- bis 13-Jährigen repräsentativ ausgewählt (nach Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund des Kindes sowie dem Schulabschluss des Haushaltsvorstandes und der regionalen Verteilung) und gefragt, wie sie sich anhand vorgegebener Statements selbst einschätzen. Diese Statements umfassen verschiedene Dimensionen, die drei Ebenen widerspiegeln
1. Wie gut gelingt die Bewältigung des Alltags?
- a) Zeit: habe genügend Zeit, um mich um mein Kind zu kümmern versus mir fehlt oft die Zeit, um mich um mein Kind zu kümmern
- b) Kompetenz: ich komme im Alltag mit meinen Kind sehr gut klar (= Alltagskompetenz) versus Ich bin im Alltag mit meinem Kind immer mal wieder überfordert (= Überforderung)
2. Wie wird die eigene Erziehungskompetenz / der eigene Erziehungsstil wahrgenommen?
- a) Sicherheit: ich bin oft unsicher, was das Beste für mein Kind ist (= unsicher) versus Ich weiß recht gut, was das Beste für mein Kind ist (= sicher)
- b) Prinzipien bei der Erziehung versus situative Entscheidung und Bauchgefühl
- c) im Vergleich zu anderen Müttern sieht man sich eher als streng versus großzügig
3. Wie wird der Konsum des Kindes gelenkt?
- a) die Mutter steuert, welche Produkte das Kind bekommt versus das Kind kann die Produkte bekommen, die es sich wünscht
- b) Sachen des Kindes sollen lang halten und oft genutzt werden versus es ist ok, wenn die Sachen auch mal nur für kurze Zeit interessant sind
Aus den Ergebnissen ließ sich ablesen, dass das Bildungsniveau oder auch der Migrationshintergrund insgesamt gesehen eher einen geringen Einfluss ausüben. Andere Variablen spielen eine größere Rolle, so z.B. das Alter des Kindes.
So zeigte sich, dass fast alle Mütter gerne das an ihre Kinder weitergeben würden, was sie selbst als Kind geliebt haben. Doch je älter die Kinder werden, desto mehr müssen Mütter einsehen, dass das nicht klappt. Die Kinder haben „ihren eigenen Kopf“ und ihre eigenen Interessen. Hier könnte man von Adaption oder Resignation sprechen, aber letztendlich ändert sich einfach die Einstellung der Mütter, wenn die Kinder älter werden. Folglich müssen auch die Mütter diesbezüglich flexibel sein, dazu lernen und ihren „Werkzeugkasten“ anpassen.
Im Ergebnis der Segmentierungsanalyse kristallisierten sich sechs Mütter-Typen heraus:
Die gute Mutter (14 Prozent) … sie weiß genau, was das Beste für das Kind ist, und zieht das auch durch – dabei sieht sie sich selbst im Vergleich zu anderen Müttern als großzügig.
- 46 Prozent 3- bis 5-jährige Kinder
- 50 Prozent hohe formale Bildung
Die überforderte Mutter (19 Prozent) … weiß eigentlich auch, was gut ist, schafft es aber nicht, das im Alltag umzusetzen und gibt den Wünschen des Kindes nach.
- 54 Prozent 9- bis 13-jährige Kinder
- nur 34 Prozent hohe formale Bildung
Die unsichere Mutter (18 Prozent) … sie ist sich sehr unsicher und hofft, das durch Regeln und Vorgaben kompensieren zu können.
- breite Streuung über das Alter des Kindes
- 45 Prozent hohe formale Bildung
Die optimistische Mutter (23 Prozent) … sie ist eher unsicher und kann sich nicht kümmern, aber sie hofft, dass das Kind es richtig machen wird.
- 31 Prozent 6- bis 8-jährige Kinder
- 41 Prozent hohe formale Bildung
Die entspannte Mutter (12 Prozent) … sie verlässt sich auf ihr Bauchgefühl und traut sich, im Vergleich zu anderen Müttern großzügig und tolerant zu sein.
- 33 Prozent 6- bis 8-jährige Kinder
- nur 36 Prozent hohe formale Bildung
Die strenge Mutter (14 Prozent) … sie weiß alles ganz genau, kümmert sich, und findet, dass man Kindern auch mal Druck machen muss.
- 32 Prozent 6- bis 8-jährige Kinder
- 47 Prozent hohe formale Bildung
Interessant ist die Analyse zweier Mutter-Typen, die man als Gegenpole betrachten kann:
Die gute Mutter: Sie ist auch deshalb vor allem „gut“, weil das Kind noch klein ist und die Mutter folglich (noch) weitgehend die Kontrolle haben kann.
versus
Die überforderte Mutter: Hier hat das Kind die Macht, weil die Mutter es nicht (mehr) schafft, dagegen zu arbeiten. Ihr fehlt der entsprechende ‚Werkzeugkasten‘, um ihre Ideale beziehungsweise Ziele beim Kind durchzubringen, denn nicht zu übersehen: Während die gute Mutter tendenziell die jüngsten Kinder hat, ist die überforderte Mutter am stärksten mit angehenden Teenagern konfrontiert. Und das sind völlig verschiedene Welten.
In dieser Gegenüberstellung zeigt sich folglich am deutlichsten: Erziehungseinstellungen werden vom Alter des Kindes und den gemachten Erfahrungen geprägt.
Was lässt sich aus dieser Segmentierung nun für das Marketing ableiten? Für Hersteller und Marken wird es besonders interessant, wenn man die Komplexität dieser Segmentierung reduziert und auf zwei relevante Dimensionen herunterbricht:
Während in der Horizontalen die Sicherheit der Mütter in Erziehungsfragen abgetragen wurde, ist in der Vertikalen ablesbar, wie viel Freiheit die Mütter dem Kind bei Konsumentscheidungen gewähren: Sind die Mütter bei der Produktauswahl für das Kind eher direktiv oder darf das Kind entscheiden?
Daraus ergeben sich verschiedene Strategien, welche Bedürfnisse beziehungsweise Needs von Müttern angesprochen werden sollten, wenn es zum Beispiel um Produkte für Kinder geht. Denn Mütter achten auf produktspezifische Benefits, die ihren Vorstellungen gerecht werden.
Zur Erläuterung:
- Die unsichere Mutter wünscht sich Entlastung und Produkte, die ihr Verantwortung abnehmen. Sie reagiert positiv auf „Problemlöser“ beziehungsweise Mothers Helpers. So sind zum Beispiel Lebensmittel mit Health Claims für sie stärker attraktiv.
- Ist die Mutter eher unsicher bei Entscheidungen und richtet sich deshalb stärker nach den Wünschen des Kindes, so ist eine erfolgversprechende Strategie das Child-Pleasing, zum Beispiel durch den Einsatz von Lizenzen, die dem Kind gefallen.
- Sind dagegen selbstsichere Mütter anzusprechen, die sich stärker an Kinder-Wünschen orientieren, so ist hier die Auslobung von kindgerechter Qualität zu empfehlen, zum Beispiel durch kindgerechte und attraktive Zusatzfeatures wie den Klappen bei Kinderbüchern.
- Selbstsichere Mütter, die den Konsum von Kindern gerne selbst stärker lenken wollen, suchen vor allem Qualität bei ihrer Produktauswahl. Folglich haben hier Produktversprechen oder auch Kommunikationsstrategien größere Erfolgschancen, die auf mütterrelevante Qualitätsaspekte abzielen.
Fazit:
Je nach Produktkategorie (zum Beispiel eher kurzlebig oder eher langlebig) und auch nach Verwendungssituation (eher in-home oder eher out-of-home) gibt es andere Gewichtungen. Deshalb muss beim Finetuning der strategischen Planung beziehungsweise Produktausrichtung genauer auf die Bedarfe der Mütter und deren relevante Kauftreiber geachtet werden. Schließlich soll die Abgrenzung gegenüber dem Wettbewerber, die Festigung der eigenen Marktposition oder auch die Erschließung neuer Nischen erfolgreich sein. Dabei kann der detaillierte Blick auf die Mütter und ihre zentralen Erziehungsmotive und -einstellungen helfen. Um diesbezüglich die Komplexität zu verdichten und die Mütter greifbarer zu machen, ist die vorgestellte Segmentierung hilfreich. Denn wie beschrieben: DIE Mütter gibt es nicht.
Denise Ullrich
… ist Senior Project Director bei iconkids & youth in München, dem größten deutschen Marktforschungsinstitut, das sich auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene spezialisiert hat. Seit 1998 führt sie eigenverantwortlich Forschungsprojekte zu jungen Zielgruppen durch, sowohl im qualitativen als auch im quantitativen Bereich, darunter ADAC, Bäko, Bertelsmann Stiftung, Capri-Sun, DeHoGa, DFL, dm, Kerry Foods, KiKA, McDonald’s, Nestlé, Stabilo, Stiftung Lesen, Super RTL und Zapf Creation.
Als Bereichsleiterin für repräsentative Forschung bei iconkids & youth ist sie insbesondere für die quantitative Forschung verantwortlich. Dabei liegen ihre Forschungsschwerpunkte auf dem Sozial- und Konsumverhalten, der Kommunikation, Werbung und Freizeitgestaltung. Zudem tritt sie regelmäßig als Referentin auf und nimmt an Podiumsdiskussionen teil.