Irmgard Clausen-Stiftung: Wie man die Leselust bei Kindern weckt
Vor gut drei Jahren wurde die letzte IGLU-Studie zur Lesekompetenz der Viertklässler veröffentlicht, die einen besorgniserregenden Trend aufzeigt: Die Leseleistungen deutscher Grundschüler nehmen seit Beginn der Studie im Jahr 2001 kontinuierlich ab. Während 2001 nur jedes sechste Kind Probleme mit dem Lesen hatte, betraf dies 2021 bereits jedes vierte. Konkret bedeutet das, dass ein Viertel der Viertklässler nicht das Mindestniveau beim internationalen Lesestandard erreicht. Doch das gilt als Voraussetzung für die Bewältigung weiterer schulischer Anforderungen. Deshalb ist es wichtig, die Lesekompetenz der Kinder zu fördern und zu stärken. Und genau das hat sich die Irmgard Clausen-Stiftung für Leseförderung zur Aufgabe gemacht.
Großes Engagement für ein Herzensprojekt
Die Stiftung mit Sitz in Coburg setzt sich engagiert für die Förderung der Lesekultur bei Kindern und Jugendlichen ein. Sie wurde nach dem Tod der Namensgeberin gegründet, nahm Mitte Juli 2021 die Arbeit auf und hat sich schnell zu einer festen Größe im Bereich der Leseförderung entwickelt. Ins Leben gerufen wurde die Organisation von der Buchhändlerin Irmgard Clausen (1953-2021). Nach ihrer Ausbildung hatte sie 1975 ihre eigene Buchhandlung in Schleswig-Holstein eröffnet, die sie bis ins Jahr 1986 führte. 1987 verlagerte sie ihren Lebensmittelpunkt ins fränkische Coburg, wo sie eine Buchhandlung übernahm. Ihr lebenslanges Engagement für Bücher und Leseförderung spiegelt sich in der Stiftung wider, deren Gründung Irmgard Clausen testamentarisch verfügte. Sie zielt darauf ab, Kindern die Welt der Bücher näherzubringen und ihre Lesefreude zu wecken. Aktuell wird die Irmgard Clausen-Stiftung von einem siebenköpfigen Team geleitet – bestehend aus zwei Vorstandsmitgliedern und fünf Stiftungsräten. Bemerkenswert ist, dass alle Beteiligten ihre Arbeit ehrenamtlich leisten, was das tiefe persönliche Engagement für die Sache unterstreicht.
Lesen mit der Bücherraupe
Das Kernprojekt der Stiftung, „Der Lesemio – eine Bücherraupe wandert durchs Coburger Land“, ist ein innovatives, lokales Konzept zur Leseförderung. Die elf Meter lange, kunterbunte Stoffraupe bleibt vier Wochen im Kindergarten oder in der Schule und überrascht dort die Kinder mit 25 Leseschätzen. Inspiriert wurden die Stiftungsmitglieder von „Leselotte“, ein Instrument zur Leseförderung, das von der Südtiroler Lehrerin und Autorin Maria Theresa Rössler erdacht wurde. Deren Konzept wurde von den Coburgern an die örtlichen Bedürfnisse angepasst, das Besondere daran ist die Zusammenarbeit zwischen Vorschulklassen in Kindertagesstätten und den ersten oder zweiten Klassen der Grundschulen. Diese Kooperation verknüpft Vorschul- und Grundschulbildung und fördert den nahtlosen Übergang in die Welt des Lesens.
Die Bücherraupe „Lesemio“ (Foto: Sabrina Beetz)
Ein Gütesiegel für lesefördernde Kindertagesstätten
Zudem unterstützt die Irmgard Clausen-Stiftung auch überregionale Initiativen wie die IG Leseförderung des Börsenverein des Deutschen Buchhandels und des Deutschen Bibliotheksverband e. V. Irmgard Clausen war langjährige Sprecherin der IG und hat deren Projekt „Gütesiegel Buchkita“ von Beginn an mitentwickelt. Diese Auszeichnung wird Kindertagesstätten verliehen, die im Bereich der frühkindlichen Leseförderung besonders aktiv sind. Kriterien sind u. a. der Zugang zu Büchern und Geschichten, regelmäßige Vorlesezeiten, Bücherkisten mit aktuellen Kinderbüchern und Vorlesepaten. Kurzum: In diesen Kitas ist Lesen Alltag.
„Kitas leisten einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit, denn die Kinder lernen wichtige Kompetenzen
Irmgard Clausen
des Lesens und Schreibens ungeachtet ihrer sozialen Herkunft.“
Lesereisen wecken Begeisterung
Ein Highlight der Stiftungsarbeit sind die organisierten und finanzierten Lesereisen. Hierbei werden Autoren oder Illustratoren in die Einrichtungen eingeladen, um dort aus ihren Werken vorzulesen. Diese persönlichen Begegnungen mit Kreativen aus der Buchwelt inspirieren Kinder und wecken ihre Begeisterung für Literatur und Geschichten. Auch in diesem Jahr verlost die Stiftung im Rahmen der Frankfurter Buchmesse 2024 unter den 61 mit dem Gütesiegel ausgezeichneten Kitas zehn Lesereisen. Die Preisverleihung findet am 18. Oktober 2024 um 13 Uhr in der Halle 4.0 im Saal Europa statt.
Fortbildung für pädagogische Fachkräfte
Engagement bedeutet auch Wissenstransfer. Deswegen legt die Coburger Stiftung großen Wert auf die Ausbildung von Multiplikatoren, etwa durch die zertifizierte Fortbildung „Literacy kompakt“ für pädagogische Fachkräfte aus dem Kita-Bereich. Es vermittelt Erziehern und Pädagogen wertvolle Methoden zur erfolgreichen Leseförderung und zum Wecken der Leselust bei Kindern. Die dreitägige Fortbildung ist als Baustein für die „Qualifizierung Lese- und Literaturpädagogik“ anerkannt. Um die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit zu gewährleisten, verlost die Irmgard Clausen-Stiftung unter den mit dem „Gütesiegel Buchkita“ ausgezeichneten Kindergärten daher auch vier Stipendien für „Literacy kompakt“.
Die Stifterin Irmgard Clausen (Foto: H. Lehmann)
Die Zukunft im Blick
Die Irmgard Clausen-Stiftung hat sich in kurzer Zeit als wichtige Akteurin in der Leseförderung etabliert. Durch die Kombination von lokalen Projekten wie „Der Lesemio“ und der Unterstützung überregionaler Initiativen schafft die Organisation ein breites Netzwerk zur Förderung der Lesekultur. Die Investition in die Ausbildung von Multiplikatoren verspricht eine nachhaltige Wirkung weit über die direkten Aktivitäten der Stiftung hinaus. Mit ihrem ganzheitlichen Ansatz, der sowohl direkte Leseförderung als auch die Ausbildung von Fachkräften umfasst, leistet die Stiftung einen wichtigen Beitrag zur Bildung und kulturellen Entwicklung der nächsten Generation.