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Bücher: Kinderliteratur in einer zerbrechlichen Welt

28. November 2025, 10:48

Am 15. Oktober 2025 fand im Rahmen der Frankfurter Buchmesse die Kids Conference statt, in der sich in diesem Jahr alles um die gesellschaftliche Bedeutung von Kinder- und Jugendliteratur drehte. Unter dem Motto „Children’s Books in a Fragile World“ beleuchteten internationale Gäste, wie Bücher jungen Menschen Orientierung gerade in Zeiten von Krieg, Zensur und wachsender Polarisierung geben können.

Am 15. Oktober 2025 fand im Rahmen der Frankfurter Buchmesse die diesjährige Kids Conference statt, in der sich in diesem Jahr alles um die gesellschaftliche Bedeutung von Kinder- und Jugendliteratur drehte. Unter dem Motto „Children’s Books in a Fragile World“ beleuchteten internationale Gäste, wie Bücher jungen Menschen Orientierung gerade in Zeiten von Krieg, Zensur und wachsender Polarisierung geben können.
Während die Buchmesse selbst mit 238.000 Besuchern aus 131 Ländern und 4.350 Ausstellern einen deutlichen Aufschwung verzeichnete, schlug das Fachprogramm Frankfurt Kids in Halle 4.1 bewusst ernstere Töne an. Die drei Podiumsdiskussionen der Kids Conference zeigten, wie eng kulturelle Freiheit, Vielfalt und kindgerechte Erzählformen miteinander verknüpft sind.

Zum Auftakt sprach Moderator Lawrence Schimel mit Illustrator Axel Scheffler, dem Schöpfer des „Grüffelo“. Das Gespräch drehte sich um die Verantwortung von Kinderbuchautoren in einer zunehmend verunsicherten Welt. Scheffler erklärte, dass es ihm „darum geht, niemanden auszugrenzen, Fremde willkommen zu heißen und hilfreich und empathisch zu sein“. Kinderbücher, so Scheffler, könnten Werte und Haltung vermitteln – „Literatur kann in der fragilen Welt Trost und Festigkeit geben“. Im Gespräch kam auch Schefflers Sammelband „Drawing Europe Together – Forty-five Illustrators, One Europe“ zur Sprache, in dem 45 Illustratoren aus ganz Europa ihre Sicht auf Gemeinschaft, Wandel und Zusammenhalt zeigen. Das Projekt entstand als künstlerische Reaktion auf den Brexit und steht symbolisch für kulturelle Verbundenheit über Grenzen hinweg. Zum Abschluss signierte Scheffler auf der Bühne seinen neuen Titel „Willkommen. Ein Buch über Freundschaft“, mit dem er ein deutliches Zeichen gegen Ausgrenzung setzte.
Im zweiten Panel „Children’s Literature – The Canary in the Coalmine?“ diskutierten Jon Yaged, CEO von Macmillan Publishers (USA), die ukrainische Autorin Kateryna Mikhalitsyna und der ägyptische Verleger Sherif Bakr über die Bedrohung der Publikationsfreiheit und die unterschiedlichen Gesichter von Zensur. Mikhalitsyna schilderte eindringlich, wie russische Truppen in der Ukraine Bibliotheken zerstören und gezielt ukrainische Bücher vernichten. Über hundert Bibliotheken seien bereits dem Krieg zum Opfer gefallen, mehr als fünfhundert beschädigt worden. „Sie kamen in die Bibliotheken mit Listen der Bücher, die zerstört werden sollten“, berichtete sie. Für viele Kinder seien Lesestunden in Kellerräumen oder improvisierten Schulen die einzige Möglichkeit, für kurze Zeit Normalität zu erleben. „Sie lachen, sie umarmen sich und haben diese eine Stunde, in der sie einfach Kinder sein dürfen.“

Kinderliteratur als gesellschaftliches Frühwarnsystem – darüber sprach Moderator Lawrence Schimel mit Jon Yaged (Macmillan Publishers, USA), Autorin und Aktivistin Kateryna Mikhalitsyna (Ukraine) und Sherif Bakr (Al Arabi Publishing and Distributing, Ägypten).

Bakr sprach über die Lage in arabischen Ländern, wo staatliche Strukturen und religiöse Tabus die Kinderbuchproduktion stark beeinflussen. Viele Verlage praktizierten Selbstzensur, um wirtschaftlich zu überleben. „Wir sprechen immer vom Dreieck aus Sex, Religion und Politik“ – Themen, die von Seiten der Regierungen in der Region alle kritisch beäugt würden. Dennoch wachse der Mut, kulturelle Grenzen zu hinterfragen.
Yaged warnte vor der zunehmenden Zahl von Buchverboten in den USA. Betroffen seien vor allem Titel, die Themen wie Diversität, Rassismus oder sexuelle Orientierung aufgreifen. „Alles, was von gleichgeschlechtlichen Beziehungen, Hautfarbe oder Identität handelt, gerät sofort ins Visier“, sagte er. Sein Verlag arbeite eng mit Organisationen wie Pen America und der National Coalition Against Censorship zusammen, um Autoren zu unterstützen. „Die Gegner der Bücher haben einen Plan, also brauchen wir unseren eigenen.“

Trotz der bedrückenden Beispiele endete das Panel mit einem Moment der Zuversicht. Kinderbücher, so der Tenor, sind mehr als Geschichten; sie sind Akte der Selbstbehauptung gegen Intoleranz und Gleichgültigkeit. „Solange es Bücher gibt“, sagte Yaged, „wird es Menschen geben, die versuchen, sie zu verbieten und sie werden nicht gewinnen.“
Den Abschluss der Konferenz bildete die Diskussion „A Light in the Darkness“, erneut moderiert von Lawrence Schimel, mit der chilenischen Literaturpädagogin Constanza Mekis Martínez und der tschechischen Autorin und Verlegerin Tereza Horváthová. Das Gespräch zeigte, wie in einer zunehmend fragilen Welt kein Kind ausgeschlossen wird – und wie eine vielfältige, offene Buchkultur wachsender Zensur und gesellschaftlichen Einschränkungen entgegentreten kann. Die Referentinnen gaben praxisnahe Impulse, die sich auch auf andere Länder und Sprachen übertragen lassen, und betonten, dass Inklusion, Repräsentation und künstlerische Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind.
Mit ihren drei Diskussionsrunden bot die Kids Conference 2025 ein eindrucksvolles Panorama aktueller Herausforderungen und zugleich einen Blick nach vorn. Kinderliteratur erwies sich dabei einmal mehr als Seismograf gesellschaftlicher Veränderungen: verletzlich, politisch, notwendig.

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