Spiele – Frisch auf den Tisch, Folge 62: Unter dem Radar
Im Oktober geht das aktuelle Spielejahr zu Ende. Mit der Herbstmesse in Essen gibt es wieder viele neue Spiele zu entdecken. Aber, ein Blick zurück zeigt, dass manche Spielidee nicht ausreichend gewürdigt wurde, sei es bei Preisverleihungen oder auch in prominenter Berichterstattung. Solche Titel, die unter dem Radar geblieben sind, haben häufig trotzdem eine interessante Spieltiefe.
FAST FACTORY: Ultimative Team-Bau-Challenge


Verlag: HABA
Autor: Ralf zur Linde
Illustration: Davide Tosello
Zielgruppe: schnelle Akteure
Anzahl/Alter: 2-6 Spieler ab 8 Jahren
Art: Bauspiel nach Anleitung unter Zeitdruck
Zwei Duellanten oder zwei Teams haben dieselbe Aufgabe. Holzklötze müssen verschoben und umgeschichtet werden. Das alles geschieht unter Zeitdruck, denn nur eine Seite kann gewinnen. Man muss richtig und schnell agieren.
Jede Partei hat ein kleines Board mit vier Farbfeldern vor sich. Auf jedem Feld liegt ein farbgleicher Holzstein: eine grüne Scheibe auf Grün, ein blauer Ring auf Blau, etc. Dann hat jeder eine gleiche Aufgabenkarte vor sich mit zwölf Anweisungen, die der Reihe nach abgehandelt werden müssen. Immer muss ein Farbstein auf ein Farbfeld verschoben werden. Dabei müssen darüber liegende Elemente natürlich mitversetzt werden oder gar, wenn es sich um das offene Fass handelt, dieses umgestülpt werden, so denn nichts obenauf liegt. Es gibt noch ein paar andere Stolperfallen. Nach zwölf Umschichtungen sollte der dann gebildete Turm aus Klötzen in richtiger Anordnung auf dem passenden Farbfeld stehen.
Die Spielspannung wird durch den Zeitdruck erzeugt. In Hektik passieren Fehler, die schwer zu korrigieren sind. Deshalb ist es zu empfehlen, mit Bedacht vorzugehen, um so alles korrekt zu arrangieren. Aber man weiß nie, ob der Gegner nicht doch schneller und ebenfalls korrekt seinen Turm arrangiert. Durch einen eleganten Mechanismus werden die Auftragskarten gleichzeitig beiden Seiten vorgelegt. So wird ein Losspielen zur selben Zeit ermöglicht. Bei mehr als zwei Personen muss in Teams gespielt werden, was das Unterfangen leicht erschwert. Die Rückseiten der Aufgabenkarten warten mit verwirrenden Anweisungen auf. Das ist noch einmal eine weitere Herausforderung. Die Solovariante ist sensationell. Jetzt muss die Stapelaufgabe über alle zwölf Schritte im Kopf nachvollzogen werden. Das ist dann ein echter Hirnverzwirner.
-pen
RAT JACK: Bluffen und Gegenbluffen


Verlag: Frosted Games
Autoren: Maxime Mercier & Matthieu Can
Illustration: Zael
Zielgruppe: Pokerfreunde
Anzahl/Alter: 2-4 Spieler ab 10 Jahren
Art: anspruchsvolle Black Jack-Variante
Ratten aber auch Wiesel und Waschbären tummeln sich auf Spielkarten. Deren Zahlenwerte müssen sich in einer offenen Auslage auf 25 summieren. Aber Vorsicht, jedes Nagetier hat so seinen Spezialeffekt, der beim Auslegen zur Geltung kommt. Da wird viel durcheinandergewirbelt.
Wie bei Black Jack oder 17 + 4 gilt es auch hier, eine Zahlenreihe vor sich auszulegen, die in Summe exakt 25 ergibt (aber nicht 21 wie beim Klassiker!). Aus zwei Handkarten hat der Zugspieler die Wahl, welche er legt. Spielt er sie offen, muss er den Effekt erfüllen. Spielt er sie verdeckt, kann er sie später aufdrehen. Dafür muss er seine Spielkarte aber abwerfen. Dann darf eine zuvor verdeckte Karte offengelegt werden. Ziel ist es dabei, die Summe von 25 zu erreichen. Wer darüber liegt, scheidet sofort aus der laufenden Runde aus. Ist der eher schmale Kartenstapel aufgebraucht und keiner hat 25 erreicht, gewinnt der mit dem dann höchsten Zahlenwert in seiner offenen Kartenreihe. Geblufft wird mit den verdeckten Karten. Die anderen kennen weder Wert noch Effekt. Getrickst wird mit den Effekten. Da werden pokerähnliche Bonus-Chips auf Karten gelegt, um beispielsweise deren Werte zu manipulieren. Und es gibt noch viele weitere Effekte. Es wird auf Serie gespielt, der Gewinner muss drei Partien für sich entschieden haben.
Die Regeln sind ganz einfach. Vielfalt kommt durch die Kombination der Karteneffekte ins Geschehen. Diese müssen allerdings gelesen, verstanden und eigentlich auch gelernt werden, so dass man in späteren Partien weiß, was da auf einen zukommen kann, zumal gerne mit verdeckten Karten gespielt wird. Mit Spielerfahrung wächst die Kurzweil. Gesteigert wird die Variabilität im Ablauf durch die verschiedenen Kartendecks. Jedes Nagetier hat individuelle Effekte. Die Kartenbilder gefallen mir so gar nicht, sie zeigen aber den fiesen Charakter dieses Kartenlegens.
-pen
SKULL QUEEN: Sticheln einmal anders


Verlag: Schmidt
Autor: Stefan Dorra
Illustration: Cinthya Alvarez
Zielgruppe: Stichspieler
Anzahl/Alter: 2-6 Spieler ab 8 Jahren
Art: Karten-Stich-Spiel mit neuartiger Vorhersage
Bei der Kaperfahrt ist es existentiell wichtig, seine Crew auf der Planke gut zu positionieren. Bei ungeschicktem Vorgehen purzeln Piraten über Bord. Allerdings gibt es auch gute und schlechte Plätze auf der Planke. Wer die punkteträchtigen besetzt, wird wohl den Sieg beim Vergleich mit den anderen einfahren. Dieser Pirat lebt aber auch gefährlich.
Das Thema Piraterie ist völlig aufgesetzt, denn es wird ein Stichspiel mit vier Kartenfarben gespielt. Dazu kommen einmal die niedrige „0“ und der höchste Wert „13“ auch einmal. Die Karten werden gemischt und alle an alle gleichmäßig verteilt. Dann beginnt die Analyse. Jeder schätzt ein, mit welchen Karten er während der Stiche punkten wird. Es gibt keine Stiche im klassischen Sinn, weshalb es auch keine Trumpffarbe gibt. Allerdings herrscht Bedienzwang. Nach einem Stich wird geschaut, ob eine Farbe mehrmals vertreten ist. Von dieser erhält der Spieler mit dem höchsten Wert für die entsprechende Farbfigur einen Schritt nach oben auf der eigenen Planke, der mit dem niedrigsten Wert einen Schritt nach unten. Jeder hat eine kleine Planke mit fünf Setzfeldern und Piratenfigürchen in allen vier Spielfarben. Die Figuren werden vor Beginn eingesetzt und nach den Regeln verschoben. Wer übers Ziel hinausschießt, scheidet mit dieser Figur aus. Ansonsten punkten die Figuren bei Spielende gemäß ihres Plankenwertes.
Es kommt darauf an, zu Beginn richtig einzuschätzen, wann man selbst punktet, im Positiven wie im Negativen. Das verläuft anders als herkömmlich. Deshalb benötigen die Spieler eine Lernkurve. Sie merken erst nach ein paar wenigen Stichrunden, worauf es hier ankommt, um richtig vorherzusagen. Das ist eine gelungene Herausforderung für alle Stichspieler. Bei den Planken ist es nicht nur Clou, auf welches Feld jede einzelne Farbfigur zu Beginn eingesetzt wird. Die Planke kann auch gedreht werden, so dass man die hohen Werte unten auf der Skala hat, der Spieler spekuliert also auf viele niedrige Karten in den Stichen. Das ist alles sehr anders. Wie bei Stichspielen üblich, ist die 2er-Variante eine Krücke, die nicht zu empfehlen ist. In größerer Runde spielt es sich flott und rund und fordernd, auch wenn das Thema nun gar nichts mit dem Spielsystem zu tun hat.
-pen
TOWER UP: Hoch hinaus und in die Breite


Verlag: Pegasus
Autoren: Frank Crittin, Grégoire Largey & Sébastien Pauchon
Illustration: Laurent Escoffier, Geoffrey Stepourenko & Nadège Calegari
Zielgruppe: Baulöwen
Anzahl/Alter: 2-4 Spieler ab 8 Jahren
Art: interaktives Bauspiel
Der Stadtplan ist gähnend leer. Zwar sind etliche Baufelder ausgewiesen, aber es fehlen noch Häuser Türme, Wolkenkratzer. Die Baulöwen machen sich an Planung und Verwirklichung. Sie sammeln Material und verarbeiten es dann zu Hochhäusern. Dabei gilt es, unterschiedliche Vorgaben zu beachten und den Aufriss der Stadtviertel gut zu kennen.
Die Grundregel ist so simpel wie einfach. Entweder nimmt der aktive Spieler eine Karte aus der Auslage oder er baut ein neues Gebäude und stockt alle Nachbargebäude auf. Mit dem Nehmen einer Karte wird der eigene Vorrat an Stockwerk-Elementen vergrößert, bisweilen darf auch ein eigener Maschinenmarker auf den Tabellen vormarschieren. Beim Bauen müssen trickreiche Regeln beachtet werden. Zum einen wird immer nur auf ein leeres Grundstück ein Stockwerk gesetzt. Dabei darf es keine Farbnachbarschaft geben. Da vier Farben zur Verfügung stehen, ist begrenzte Auswahl gegeben. Zum anderen müssen alle benachbarten Gebäude in deren Farbe aufgestockt werden. Dann wird auf eines dieser Gebäude ein eigenes Dach gesetzt. Dafür gibt es Punkte, je mehr je höher dieses Gebäude hochgewachsen ist. Das ist die Grundstruktur. Einige Zwischenziele und eine lockende Endwertung verführen zu immer neuen Überlegungen.
Die Dramatik bei diesem Bauboom entwickelt sich durch die Vielschichtigkeit, die Möglichkeiten der Mitspieler im Auge zu behalten und vor allem durch einen sich stets ändernden Nutzen, den jeder in seinem aktuellen Zug geltend machen kann. Dafür bedarf es eines genauen Überblicks und vor allem die Kenntnis der Punktwertung für die einzelnen Aktionen. Richtiges Timing ist zumeist der Erfolgsgarant. Emotional kocht es hoch, wenn wieder einmal ein letzter Bauplatz zu den eigenen Gunsten belegt werden konnte. Die Spielregeln sind rank und schlank, das Geschehen in kurzer Zeit gespielt. Die Dynamik während des Aufbaus lässt die Spannung knistern. Dazu sieht das, was sich entwickelt, auch noch hübsch aus, wenn die Klemmbausteine zu Häusern und Skyscrapern in die Höhe wachsen. Nur, die etwas kuriosen Bauregeln mit eingeschränkten Farbvorgaben und verpflichtenden Nachbarschaftsbeteiligungen wollen gar nicht zu einem natürlichen Errichten eines Stadtviertels passen. Spielmechanismus und Material sind wirklich hoch zu loben, für das Zusammenwirken von Thema und Spielgeschehen gilt das leider nicht.
-pen
EL PASO: Unterwegs auf dem Great Western Trail


Verlag: Lookout Spiele
Vetrieb: Asmodee
Autoren: Alexander Pfister & Johannes Krenner
Illustration: Chris Quilliams
Zielgruppe: echte Cowboys
Anzahl/Alter: 1-4 Spieler ab 12 Jahren
Art: Lauf, Sammel- und Entwicklungsspiel in Wildwest
Sonderheit: Schnelle Version des erfolgreichen Expertenspiels „Great Western Trail“
El Paso ist der Umschlagplatz für Viehhandel. Hier kommen mehrere Eisenbahnverbindungen zusammen. Mit ihnen lassen sich Rinder in alle Himmelsrichtungen transportieren. Wer Cowboys anheuert, erhöht die Zugweite seines Viehtreibers. Ingenieure und Baumeister helfen beim trubeligen Handel und Wandel der konkurrierenden Rinderbarone. Bedeutsam sind die verschiedenen Rinderrassen, neun sind im Angebot und deren Zusammensetzung entscheidet über den Zuchtwert. Dieser kommt in El Paso zur Geltung.
Auf einem Rundlauf bewegen sich die Figuren. Auf neutralen oder eigenen Gebäuden dürfen Aktionen durchgeführt werden. Im titelgebenden El Paso ist immer ein Stopp verpflichtend. Hier wird der Erfolg des abgelaufenen Turnus versilbert. Sehr vielfältige und abwechslungsreiche Aktionen lassen sich auf den einzelnen Stationen erreichen. Es dürfen neue Arbeiter angestellt werden, die sehr hilfreich bei zukünftigen Aktionen sind. Neue Rinder können gekauft oder aber auch wieder veräußert werden, wenn man liquide sein möchte. Ein Zug darf genutzt werden, um etliche Vorteile zu erheischen. Ein neues, eigenes Gebäude wird platziert, um zukünftig manche Vorteile zu beanspruchen. Alles kostet Geld und beansprucht die entsprechenden Arbeiter, die man zuvor als Karten gesammelt haben muss. Und viele andere Vorteilsplättchen und Hilfsmittel lassen sich erwerben und gezielt nutzen.
El Paso spielt sich als logistische Aufgabe. Jeder plant und optimiert die eigenen Züge. Dabei kommt keiner den Mitbewerbern kaum ins Gehege. Auch werden Zielfelder nicht blockiert. Dadurch verläuft das Spiel angenehm störungsfrei aber auch recht solitär. Allerdings sind etliche Handlungsoptionen zu berücksichtigen. Das macht das Spiel (etwas) unübersichtlich. Jeder muss sich in die Spielelemente eingrooven. Obwohl das Spiel eine „abgespeckte“ Version eines erfolgreichen Großspiels ist, ist diese Version keine leichte Kost, weder beim Verständnis der vielschichtigen Spielregel noch bei der Beherrschung des verquickten Spielablaufs. Wer sich darauf einlässt und dem Spielthema gegenüber offen ist, wird Spielspaß erleben. Übrigens ist das Cowboy-Thema mit Viehtransport und Rinderzucht recht gut abgebildet. Statt auf einem Spielbrett werden auf einer Matte Figuren bewegt und Karten abgelegt. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig.
-pen