Rundruf: Familiengründung im Fokus
Welche Maßnahmen müsste die Bundesregierung ergreifen, um die Familiengründung wieder attraktiver zu machen? Und was müsste die Politik aktuell tun, um die Baby- und Kleinkindbranche zu entlasten, die von der Kaufkraft der Familien abhängig ist? 1st Steps Redakteurin Janina Hamhaber hat sich umgehört und Experten aus der Branche zu dieser Thematik befragt.
Deutschland erlebt seit Jahren einen deutlichen Geburtenrückgang. Laut Statistischem Bundesamt kamen im Jahr 2024 in Deutschland 677.117 Kinder zur Welt. Damit nahm die Zahl der Geburten um 15.872 oder ebenfalls zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr ab (2023: 692.989 Neugeborene). Während sich die politischen und gesellschaftlichen Debatten oft auf langfristige Auswirkungen konzentrieren, geraten bereits heute bestimmte Branchen unter akuten Druck. Denn sinkende Geburtenzahlen bedeuten gleichzeitig einen geringeren Konsum.
Dazu fordert Gabriel Zboralski, Geschäftsführer der Alvi GmbH: „Die Familiengründung muss attraktiver gestaltet werden. Die Bundesregierung muss vor allem wirtschaftliche Sicherheit schaffen. Dazu zählen:
- Stabile und planbare Familienleistungen, wie ein reformiertes Elterngeld und verlässliche Kinderbetreuung.
- Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere durch flächendeckenden Ausbau von Kitas und flexible Arbeitszeitmodelle.
- Eine finanzielle Entlastung junger Familien, etwa durch steuerliche Vorteile oder Wohnraumförderung.
Außerdem sollte die Baby- und Kleindkindbranche von der Politik entlastet werden. Unsere Branche hängt direkt von der Kaufkraft junger Familien ab. Notwendig wären: - Eine zielgerichtete Konsumförderung – zum Beispiel durch Mehrwertsteuersenkungen auf Babyartikel.
- Eine Stärkung des Einzelhandelsstandorts Deutschland, insbesondere durch Bürokratieabbau und Investitionen in digitale Infrastruktur.
- Und verlässliche Rahmenbedingungen für mittelständische Hersteller, etwa bei Energiepreisen, Logistik oder Förderprogrammen für nachhaltige Produktion. Denn nur mit einem ganzheitlichen Ansatz kann die Politik dem demografischen Wandel wirksam begegnen und gleichzeitig die Zukunft unserer Branche sichern.“
In einem Statement von Lansinoh Deutschland zur Familienpolitik und zur Entlastung der Baby- und Kleinkindbranche sagt Heidi Schäfer, Vice President Germany von Lansinoh Laboratories Inc., Niederlassung Deutschland und Vorstandsmitglied des BDKH:
„Die Entscheidung für eine Familie ist eine der bedeutendsten im Leben vieler Menschen – und sie sollte von der Politik aktiv unterstützt werden. In Deutschland existieren zwar viele familienpolitische Leistungen, doch die Realität zeigt: Die Familiengründung bleibt für viele junge Menschen eine Herausforderung – sei es aus finanziellen Gründen, wegen mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder aufgrund fehlender gesellschaftlicher Anerkennung.
Familien brauchen finanzielle Sicherheit, flexible und hochwertige Kinderbetreuung sowie eine Arbeitswelt, die Vereinbarkeit ermöglicht. Diese zentralen Aspekte sollte Familienpolitik fördern.
Auch die Baby- und Kleinkindbranche leidet unter der sinkenden Kaufkraft junger Familien. Um die Versorgung mit essenziellen Produkten zu sichern, braucht es steuerliche Entlastungen, gezielte Förderprogramme und eine stärkere politische Einbindung familiennaher Unternehmen.
Als Unternehmen, das sich seit Jahrzehnten für die Gesundheit und das Wohlbefinden junger Familien einsetzt, haben wir uns entschlossen, der Lobbyinitiative‚ Unternehmen mit Haltung‘ beizutreten. Diese Bewegung setzt sich für eine gerechtere, moderne und wirtschaftlich nachhaltige Familienpolitik ein – mit dem Ziel, Familien endlich die politische Sichtbarkeit und Priorität zu geben, die sie verdienen.
Wir bei Lansinoh sind davon überzeugt: Eine gesunde Zukunft beginnt mit starken Familien. Und starke Familien brauchen eine starke politische Stimme.“
Robin Homolac, Associate Director B2B Channel Marketing bei der Ergobaby Europe GmbH sagt:
„Um Familiengründung attraktiver zu machen, braucht es verlässliche Rahmenbedingungen – etwa bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, finanzielle Entlastung, bezahlbaren Wohnraum und verlässliche Betreuungsangebote. Für die Baby- und Kleinkindbranche sind diese Maßnahmen essenziell, da sie direkt von der Kaufkraft der Familien abhängt. Als Teil dieser Branche setzen wir uns für Lösungen ein, die Familien stärken, Gleichberechtigung fördern und die enge Verbindung zwischen Eltern und Kind von Anfang an unterstützen.“
Franziska Köster stellvertretende Geschäftsführerin BVS – Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels e. V. äußert sich wie folgt zu der Thematik: „Babys sind Zukunft und sie brauchen gute Spielwaren! Auch wenn weniger Kinder geboren werden, investieren Eltern gezielt in Qualität, Sicherheit und nachhaltige Produkte. Für die Branche bedeutet das: weniger Gesamtumsatzpotenzial, aber höhere Ansprüche und intensiverer Wettbewerb. Hersteller und Handel reagieren mit innovativen Sortimenten, die Entwicklungsförderung und Spielfreude verbinden. Damit Familien sich das leisten können, braucht es von der Politik klare Signale: bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, finanzielle Entlastungen und faire Rahmenbedingungen, vor allem für Frauen. So wächst nicht nur das Vertrauen – sondern auch die Lust, in die Kleinsten zu investieren.“
Dr. Anna Weber, Co-CEO von BabyOne sagt:
Die Geburtenrate in Deutschland lag 2024 bei nur 1,35 Kindern pro Frau – das ist einer der niedrigsten Werte in Europa. Der Rückgang liegt aber nicht an mangelndem Kinderwunsch, sondern an strukturellen Hürden: finanzielle Nachteile, unzureichende Betreuung, Karriereknick. Elternschaft bedeutet oft hohe Verantwortung bei gleichzeitigem Risiko für Einkommen und berufliche Entwicklung – trotz Elternzeitregelungen.
Ich bin der Meinung, dass Deutschland eine verbindliche demografische Leitlinie braucht: Das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kindern pro Frau muss als gesellschaftliches Ziel festgeschrieben werden. Nur so lassen sich soziale Sicherungssysteme, wirtschaftliche Stärke und gesellschaftlicher Zusammenhalt langfristig sichern. Diese Aufgabe betrifft alle Ressorts – von Arbeit bis Bildung. Jede politische Entscheidung muss sich zukünftig an einer Frage messen lassen: Bringt sie mehr Kinder – oder nicht?
Als konkrete Maßnahme wünsche ich mir zum Beispiel eine steuerliche Neuausrichtung, die Kinder zukünftig ins Zentrum staatlicher Unterstützung rückt – und nicht den Trauschein. Auch braucht es mehr Kitas mit längeren und flexibleren Betreuungszeiten, damit auch Eltern, die zum Beispiel im Schichtbetrieb arbeiten, entlastet werden können. Darüber hinaus sollte der Staat Kinderwunschbehandlungen als Kassenleistung finanzieren, denn jedes zusätzliche Kind ist ein Gewinn für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Ich halte wenig von kurzfristigen Subventionen – sie bekämpfen Symptome, nicht Ursachen. Die beste Entlastung für die Baby- und Kleinkindbranche ist eine Politik, die Familien nachhaltig stärkt. Wenn Eltern finanziell abgesichert sind, Betreuungsangebote verlässlich funktionieren und der Spagat zwischen Beruf und Familie gelingt, entsteht automatisch mehr Kaufkraft im Alltag. Statt die Branche direkt zu fördern, sollte die Politik strukturelle Rahmenbedingungen verbessern: steuerliche Entlastung für Familien, bezahlbarer Wohnraum, flexible Betreuungszeiten und eine Kultur, die Elternschaft nicht benachteiligt. Das stärkt Familien – und damit auch alle Branchen, die von ihnen leben – dauerhaft.