Nachgefragt: Sorgenkind Mittelstand?
Der deutsche Mittelstand kämpft. Dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zufolge gibt alle drei Minuten ein deutsches Unternehmen auf. Auch in der deutschen Spielwarenbranche knirscht es hier und da. Doch wie steht es um den deutschen Mittelstand und was ist nötig, damit es endlich wieder aufwärts geht. Brancheninsider nehmen Stellung.
Jean-Marc von Keller, Inhaber MTS Sportartikel/Schildkröt
Die Konsumlaune, Auftragslage und Stimmung am Markt sind gar nicht so schlecht, wie sie immer gemacht werden. Es besteht aber eine hohe Verunsicherung im Handel und damit auch wenig Bereitschaft zu langfristigem Engagement und Vorordern. Der Handel leidet am stetig steigenden Bürokratieaufwand (zum Beispiel Lieferkettengesetz, steigende Anforderungen in Bezug auf Schadstoffe, soziale Standards, Audits, mehr Kontrolle), gleichzeitig machen sich chinesische Anbieter wie Temu und Shein, die auf sehr bedenkliche und wenig nachhaltige Art und Weise an allen Standards, am Zoll und an Einfuhrsteuern vorbei den Markt direkt beliefern, immer weiter breit. Der Handel leidet stark unter diesem massiv unfairen Wettbewerb, dem schnellstens durch gesetzliche Maßnahmen Einhalt geboten werden sollte.
Importe aus Asien sind nach wie vor enorm erschwert. Die unveränderte Situation am Horn von Afrika durch die Huthi-Attacken auf Containerschiffe führt zu fortwährend langen Verschiffungszeiten und zusätzlichen Verspätungen durch Frachtraumverknappung. Transportkosten und Warenfinanzierung sind wieder massiv gestiegen und werden sich langfristig auch wieder auf steigende Preise auswirken. Die Auswirkungen des Fachkräftemangels werden immer deutlicher zu spüren. Hand in Hand mit dem Fachkräftemangel gehen die Infrastrukturschwächen in Deutschland. Sie führen zu erschwertem Reisen mit Bahn, Flugzeug und auf Autobahnen. Die Internetgeschwindigkeit in Deutschland ist an vielen Orten viel zu langsam, schneller Ausbau dringend notwendig.
Der Produktionsstandort Deutschland leidet neben Fachkräftemangel und Infrastrukturschwächen nach wie vor an international vergleichbar sehr hohen Energiekosten und dem steigenden Konkurrenzdruck aus China mit teilweise subventionierter, sehr viel günstigerer Produktion.
Zusammenfassend wird die Situation in Deutschland immer schwieriger und für Unternehmen unattraktiver. Es müsste viel mehr getan werden, um dieser Situation entgegenzuwirken. Benötigt wird eine wesentlich wirtschaftlich orientiertere Einwanderungs- und Energiepolitik sowie massive Investitionen in Infrastruktur und Zukunftstechnologien. Hohe Produkt- und Sozialstandards sind gut und wichtig, aber sinnlos und schädlich, wenn sie auf unfaire Weise durch chinesische Anbieter umgangen werden können.
Christian Alsbaek, Geschäftsführer WonderFold
Inflation, Fachkräftemangel und digitale Transformation – das sind die größten Herausforderungen im deutschen Mittelstand – egal ob Einzelhändler, Start-up oder Traditionsunternehmen. 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland gehören zum Mittelstand. Meiner Meinung nach müssen Ausbildungs- und Arbeitsplätze für den Nachwuchs attraktiver werden. Was zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn undenkbar war, ist heute ein Muss: flexible Arbeitszeiten, eine 35-Stunden-Woche oder Homeoffice wo möglich. Auch wenn oft über die Gen Z mit ihrer ‚New Work‘ und ‚Work-Life-Balance‘ geschmunzelt wird, ist es gerade die Generation, auf die wir uns heute einstellen müssen. Sie ist die Zukunft unseres Arbeitsmarktes. Was Inflation und hohe Energiekosten angeht, so sollte auch die Regierung für Entlastung sorgen.
der Spielwarenmesse eG
Christian Ulrich, Sprecher des Vorstands der Spielwarenmesse eG
Im Personalwesen würde man sagen: Es gilt, die Stärken zu stärken – und davon gibt es immer noch viele. Wenn wir alleine unsere Branche betrachten, haben wir hierzulande zahlreiche innovative Unternehmen mit großartigen Produkten sowie qualifizierten und engagierten Teams. Auch erscheinen immer wieder Start-ups, die es mit frischen Ideen und Dynamik in beachtlicher Schnelligkeit nach oben schaffen. Natürlich lassen sich aber die Schwächen nicht völlig vernachlässigen, unter anderem die Bürokratie, die vieles erschwert und verlangsamt. Unternehmen werden oft unnötige Hürden in den Weg gelegt, die es zu hinterfragen gilt. Plakativ gesagt: bitte auch seitens der Politik mehr positive Energie.
Katja Meinecke-Meurer, Geschäftsführerin und Verlegerin Tessloff Verlag
Wir befinden uns derzeit auf vielen Ebenen in einem Transformationsprozess – global und regional, gesellschaftlich und wirtschaftlich, klimapolitisch und technologisch. Ich sehe diese herausfordernde Phase eher als große Chance – indem wir uns damit beschäftigen, was wir können, was wir nicht können und was eine positive Wirkung hat. Daher plädiere ich für Zuversicht, Kreativität und schonungslose Ehrlichkeit im Hinblick auf den notwendigen Veränderungsprozess in der Branche. Aus meiner Sicht gehen wir gerade ins Zeitalter der Co-opetition – also eine Phase, in der Kooperation und Wettbewerb eng miteinander verwoben sind. Lasst uns die Chance nutzen!
Dr. Lambert Scheer, Geschäftsführer Coppenrath Verlag
Der Mittelstand ist noch immer das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die kleinen und mittleren Unternehmen sind anpassungsfähig und flexibel, aber sie sind derzeit in vielen Bereichen mit erhöhten Anforderungen konfrontiert, die nicht mehr verhältnismäßig sind. Hierdurch werden zu viele Kapazitäten gebunden, sodass das Kerngeschäft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit leiden. Ein Aufwärtstrend kann nur eingeleitet werden, wenn die politischen Rahmenbedingungen verbessert werden, das heißt der Anforderungskatalog muss deutlich verschlankt werden, Bürokratie und Digitalisierungshemmnisse müssen abgebaut werden und dem demografischen Trend durch Anwerben qualifizierter Arbeitskräfte muss entgegengewirkt werden.
Ulrich Brobeil, Geschäftsführer DVSI
Die Konjunkturprognosen für Deutschland werden optimistischer. Alle führenden deutschen Institute hoben in den vergangenen Wochen ihre Prognosen an. Kehrt die deutsche Wirtschaft in die Erfolgsspur zurück? Zweifel sind angebracht. Die Defizite bei der klassischen Infrastruktur, der Digitalisierung oder der Bildung werden Deutschland noch über viele Jahre beschäftigen. Der zunehmende Fachkräftemangel tut ein Übriges. Er bereitet bereits heute vielen Unternehmen aus der Spielwarenbranche Kopfzerbrechen, wie der DVSI-Index zeigt. Das Wachstumschancengesetz, das von ursprünglich rund sieben Milliarden Euro auf jährlich auf 3,2 Milliarden Euro reduziert wurde und für mehr Wachstum und Investitionen sorgen soll, ist eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Der BDI forderte unlängst 400 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren.
Die deutsche Wirtschaft befindet sich trotz der leichten Erholung nach wie vor in einer kritischen Situation. Das zeigen unter anderem die jüngsten Daten des ifo Institutes sowie der GfK-Konsumklima-Indikator. Die Erholung der Verbraucherstimmung hat einen Dämpfer erhalten, die Anschaffungsneigung ging in den Keller. Der Reformbedarf bleibt also weiterhin hoch. Das zeigt auch der aktuelle DVSI-Index mit dem Schwerpunkt Deutschland.
Die Schwachpunkte des Wirtschaftsstandorts Deutschland sind vor allem die Höhe der Steuern und Abgaben, Energiekosten und Energiesicherheit, Arbeitskosten und Lohnniveau sowie Arbeitskräfteverfügbarkeit und -qualifikation. Die befragten Hersteller bewerten das administrativ-politische Umfeld sogar als wettbewerbsgefährdend. Die Einsicht, dass zu viele Vorschriften, Verordnungen und Dokumentationspflichten die Wirtschaft erdrücken, hat sich zwar in Berlin durchgesetzt, aber ein Bürokratieentlastungsgesetz macht noch keinen Frühling. Aber wenn auch 74 Prozent der befragten Unternehmen die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung als nur ausreichend oder mangelhaft, aber nur sechs Prozent als gut bewerten, hat die Spielwarenbranche gelernt, mit den Unwägbarkeiten der Politik zu leben. Mittel- bis langfristig ist die Branche nach eigener Einschätzung dennoch solide aufgestellt, um auf den Wachstumspfad zurückzukehren. 32 Prozent der vom DVSI im Vorfeld des Zusammenspiels von Industrie und Handel befragten Hersteller bewerteten ihre Aufstellung für die nächsten Jahre als gut und sehr gut. Was es jetzt braucht, sind berechenbare Rahmenbedingungen, weniger Bürokratie und ein politisches Klima des Vertrauens. Berlin ist in der Bringschuld.