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Handel – Die neue Lust am Teilen

13. September 2019, 17:17

Auf Flohmärkten Jagd auf besondere Einzelstücke machen, sich Second Hand das begehrte Designerlabel leisten können, das war und ist immer angesagt. Share-Economy kann aber auch anders aussehen: Portale wie „Mamikreisel“ und „Kleiderkreisel“ boomen. Jetzt gibt es die „Lieblingsstücke“. Machen Sie mit!

Second Hand Shops, in die man sich – wenn es keine angesagten Designerlabels waren, die man dort aus zweiter Hand erstehen konnte – früher klammheimlich hinein- und wieder hinausschlich, gehören der Vergangenheit an. Heute gilt es als politisch korrekt, der Wegwerfgesellschaft die Stirn zu bieten und gute, qualitätsvolle Waren nicht vor ihrem „Ablaufdatum“ zu entsorgen, sondern einem neuen Nutzen oder neuen Nutzern zuzuführen. Egal, um welche Artikel des täglichen Lebens es sich handelt, der Produktlebenszyklus soll sich nicht immer schneller „drehen“, um zwanghaft Nachfrage zu schaffen, es soll im Gegenteil darauf geachtet werden, dass gute Produkte einer weiteren sinnvollen Verwertung zugeführt werden. Auch bekannte Labels und namhafte Anbieter setzen bereits auf diese neue Art der „Share Economy“, um Kunden zu binden und ihre Glaubwürdigkeit als Unternehmen beim Verbraucher zu erhöhen.
Bernd Horenkamp, langjähriges Mitglied des Vorstands der EK/servicegroup, hat in seinem „zweiten Leben“ als Kreisgeschäftsführer des DRK Paderborn ein Projekt ins Leben gerufen, das solche „Lieblingsstücke“ neuen Besitzern zuführt. Sibylle Dorndorf sprach mit ihm und mit der Unternehmensberaterin Britta Meyer, die dieses Projekt für multiplizierbar hält, über die neue Lust am Teilen und wie man dieses beispielsweise als Concept Store in den Handel integrieren könnte.

Second Hand ist hip

3 Fragen an Bernd Horenkamp, Kreisgeschäftsführer Rotes Kreuz Paderborn

Herr Horenkamp, in Ihrem ersten Leben ging es darum, möglichst viele Begehrlichkeiten zu wecken und den Handel regelmäßig mit zugkräftigen Neuheiten zu versorgen. Mehr noch, ihm nahezulegen, diese auch schnellstmöglich an den Mann oder die Frau zu bringen und nun das?
Ja, tatsächlich – auf den ersten Blick hat sich der Inhalt meiner Tätigkeit völlig gewandelt, doch auf den zweiten Blick ist das nur teilweise so. Auch beim Roten Kreuz geht es darum, Menschen zu versorgen, nur in der Regel eben anlässlich misslicher Situationen in deren Leben. Und so ganz nebenbei kamen mein Team und ich auf die Idee, das für Paderborn erste Sozialkaufhaus ins Leben zu rufen. Von Mensch zu Mensch ist unser Motto, nur geht es hier nicht um Neuware, sondern um Lieblingsstücke. Ehemalige Lieblingsstücke, die die einen abgeben wollen und neue Lieblingsstücke für unsere Kunden im Sozialkaufhaus.
Ich bin also nicht plötzlich zum Gutmenschen mutiert, sondern versuche in meinem Zuständigkeitsbereich nur wieder die Tatsache aufzugreifen, dass Menschen sich gerne mit schönen Dingen umgeben. Und dies wollen wir mit unserem Geschäft „Lieblingsstücke“ auch den Menschen ermöglichen, die sich ihre Wünsche nur mit kleinerem Budget erfüllen können.
Der Handel spricht seit einigen Jahren sehr intensiv über die emotionale Aufladung der Geschäfte. Genau das haben wir auch mit den „Lieblingsstücken“ im Blick. Wir versuchen die Seele der Kunden zu erreichen und wir gestalten das mit einem Team von Mitarbeitern, die die „Lieblingsstücke“ leben, sowohl in der Annahme der Waren als auch im Verkauf.

Kreisgeschäfstführer Bernd Horenkamp (links), die Leiterin des Sozialkaufhauses Helena Löwen und Heinz Köhler, Präsident des DRK Kreisverbands Paderborn e.V. bei der Eröffnung von „Lieblingsstücke“

Sind die Lieblingsstücke nur bestimmten Personenkreisen vorbehalten oder kann jeder dort seinen Bedarf decken oder sich einen Wunsch erfüllen?
Die Lieblingsstücke sind für jedermann zu haben. Menschen, die tatsächlich bedürftig sind, können sich bedienen. Beim Roten Kreuz gilt der Grundsatz „Wenn nötig, kleiden wir jeden ein.“ Und andererseits haben wir in den „Lieblingstücken“ eine relativ hohe Zahl an Kunden, da kann man von Bedürftigkeit gar nicht sprechen. Im Gegenteil. Hier geht es darum, ein interessantes Schnäppchen zu machen. Manche Kunden beider Gruppen kommen manchmal mehrfach pro Woche im Geschäft vorbei, um ein neues Lieblingsstück zu entdecken.

Die allgemein spürbare Übersättigung ist das eine, die soziale Schere, die immer weiter aufgeht, das andere. Immer mehr Menschen möchten oder müssen ihren Bedarf „aus zweiter Hand“ decken. Wie kamen Sie auf die Idee, daraus ein Geschäftsmodell zu machen und wie kann der Fachhandel davon profitieren?
Den ersten Teil Ihrer Frage will ich mal so beantworten: Menschen – und hier sind uns besonders diejenigen wichtig, die eher den unteren Einkommensschichten angehören –, die beim Einkauf von Ware, die zum Leben nicht notwendig ist, die ihnen aber gut tut, sparen können, haben für die existenziellen Ausgaben wie Lebensmittel oder Bildung mehr Budget zur Verfügung. Außerdem ist das DRK eine Einrichtung, die für das Annehmen von Ware und das Abgeben mit sozialer Note eine nicht zu unterschätzende Prominenz in den Köpfen der Menschen hat. Beides haben wir mit den „Lieblingsstücken“ aufgegriffen und daraus ein funktionierendes Geschäftsmodell werden lassen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wir bieten dem Fachhandel an, uns anzusprechen. Die „Lieblingsstücke“ sind multiplizierbar und für den Kreis Paderborn kann ich sagen, dass ich als DRK Kreisgeschäftsführer durchaus bereit bin, interessante Innenstadt-Flächen für eine Expansion anzumieten. Für die eine oder andere Flächenfrage sind wir vielleicht ein Lösungspartner.