Benimm dich, Madame Etikette!
Kinder sind die wahren Lehrmeister des Lebens. Dem muss auch unsere Redakteurin Nadja Finkenzeller von Zeit zu Zeit beipflichten. Erst kürzlich wurde sie in dieser Hinsicht an die Ellenbogen-Regel zu Tisch erinnert, die doch jedes Kind kennt!
Wer kennt es nicht, das Gefühl, wenn einem der Spiegel vors Gesicht gehalten wird? Wenn die Schamröte in Sekundenschnelle aufsteigt, weil man die eigenen Unzulänglichkeiten vor Augen geführt bekommt? So erging es mir erst kürzlich, als ich mit meiner Freundin und unseren Kindern an der üppig gedeckten Kuchentafel saß, tief versunken in meine Schwarzwälder Kirschtorte und zwischendurch wild gestikulierend bei allen brandheißen Themen, die Mamis so beschäftigen. Plötzlich ertönte neben mir die mahnende Stimme meiner Freundin: „Nimm die Ellenbogen beim Essen vom Tisch!“. Gemeint hatte sie zwar nicht mich, dafür aber ihre wohlerzogene Tochter. Und wenn ich von wohlerzogen spreche, tue ich dies keineswegs mit einem Augenzwinkern. Was dann folgte, war ein echter Tiefschlag für mich, denn eben die gerade Ermahnte konterte wie aus der Pistole geschossen: „Aber Mami, die Nadja hat doch auch die Ellenbogen auf dem Tisch!“. Im Nu richtete ich mich auf und nahm eine ganz manierliche Körperhaltung ein. Ich dachte bei mir: „Ach, sind sie nicht entzückend die Kleinen, die großen Meister im Spiel der Ehrlichkeit. Wie kann mir als erfahrene Gastgeberin nur so ein Fauxpas passieren?“.
Ja, die Kunst der Tischmanieren will gelernt sein und erlebt im fortgeschrittenen Alter doch so manche Durststrecke. Doch zurück zum Geschehen: Ich blickte auf die Serviette vor mir, die in meinen Gedanken zum Fähnchen des Aufstandes wurde. Mich packte übereifrig der Ehrgeiz mit dem Ziel vor Augen, dass mich meine kleinen Kritiker künftig nur noch „Madame Etikette“ nennen werden. Ich bin vielleicht nicht die wandelnde Frau Knigge, aber kreativ bin ich allemal. Und … ich weiß, wie man die richtigen Ablenkmanöver startet, um über die eigenen Schwächen hinwegzutäuschen. Und so machte ich es auch dieses Mal. Ich überhörte die kritischen Worte des kleinen Gastes mit Nonchalance, sprintete in die Küche, riss die Schublade auf und holte das beste Kindergeschirr heraus, das ich finden konnte. Im Nu hatte ich dieses aufgetischt und lenkte die Aufmerksamkeit auf dessen reizende Motive. Staunende Blicke schweiften über die neu eingedeckte Tafel und meine Strategie ging tatsächlich auf. Entspannt lehnte ich mich in meinem Sessel zurück, hielt mir den Teller unters Kind und schaufelte genüsslich die noch fast unberührte Torte in mich hinein.
Ich weiß , ich weiß … auch Selbstreflexion ist eine wichtige Eigenschaft und scheint bei dieser Vorgehensweise bei mir quasi noch in den Kinderschuhen zu stecken. Aber die ehrliche, kindliche Kritik hat mit Abstand betrachtet doch Wirkung gezeigt. Denn sobald ich mich heute selbst dabei erwische, am Esstisch in eine ungraziöse Ruheposition zu verfallen, gebe ich mir eine Kopfnuss (zumindest gedanklich), richte mich auf und summe mantraartig in mich hinein „Keine Ellenbogen auf dem Tisch, keine Ellenbogen auf dem Tisch …“.